
Die Art und Weise, wie Führungskräfte und Teams Herausforderungen bewältigen, hängt stark von ihrer inneren „Handlungslogik“ ab – also davon, wie sie ihre Umwelt deuten und auf Machtkonflikte reagieren. David Rooke und Bill Torbert identifizierten sieben solcher Logiken für den Teamerfolg («The seven transformations of leadership», HBR), während Robert Kegan fünf Entwicklungsstufen beschreibt, die bestimmen, wie Menschen Sinn konstruieren. Beide Ansätze bauen auf der Forschung von Jean Piaget und Jane Lovinger auf. Sie zeigen in der Anwendung: Teamdynamik und Ergebnisse werden massgeblich davon beeinflusst, auf welcher Reifestufe sich Einzelne und das Kollektiv befinden.
Die Grundlagen: Von Opportunisten zu Alchemisten
Rooke und Torbert unterscheiden in ihrer Arbeit sieben Führungslogiken:
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Opportunist: Kurzfristiges Gewinnstreben, manipulative Taktiken.
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Diplomat: Harmonieorientiert, vermeidet Konflikte.
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Experte: Fachdominanz, wenig interdisziplinäre Kooperation.
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Achiever: Zielgetrieben, optimiert Prozesse.
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Individualist: Hinterfragt Systeme, sucht kreative Lösungen.
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Strategist: Transformiert Organisationen durch partizipative Visionen.
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Alchemist: Verbindet gesellschaftlichen Wandel mit persönlicher Entwicklung.
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Kegans Entwicklungsstufen ergänzen dies mit der Unabhängigkeit der Denkweise:
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Sozialisierte Denkweise: Orientierung an externen Erwartungen und Normen.
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Selbstbestimmte Denkweise: Eigenes Wertesystem leitet das Handeln.
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Selbsttransformierende Denkweise: Flexibilität, systemübergreifendes Denken.
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Reifestadien von Teams und Leadership
Die Reifestadien der Führung und Zusammenarbeit nach Rooke und Torbert – von Opportunist bis Alchemist – unterscheiden sich grundlegend darin, wie Führungskräfte und Teammitglieder ihre Umwelt interpretieren, mit Herausforderungen umgehen und wie sie auf Teamdynamik und Ergebnisse einwirken. Die Entwicklungsstufen beeinflussen, wie Teams zusammenarbeiten, wie effektiv sie sind und welche Resultate sie erzielen.
Frühe Stadien (Opportunist, Diplomat, Experte):
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Opportunisten-Teams handeln individuell eigennützig und kurzfristig, was zu Misstrauen und Konkurrenz im Team führt. Führungskräfte mit Opportunisten-Logik können in Krisen schnelle Entscheidungen treffen, fördern aber kaum nachhaltige Zusammenarbeit oder Vertrauen.
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Diplomaten-Teams streben nach Harmonie und vermeiden Konflikte. Teams unter diplomatischer Führung sind oft stabil, aber wenig innovativ, da schwierige Themen nicht angesprochen werden.
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Experten-Teams fokussieren auf Fachwissen und Korrektheit. Sie neigen zu Silodenken und fördern wenig interdisziplinäre Kooperation. Teams, die mit Experten-Logik funktionieren, erzielen gute Ergebnisse bei klar umrissenen, fachlichen Aufgaben, stossen aber bei komplexen, vielschichtigen Herausforderungen an ihre Grenzen.
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Mittlere Stadien (Achiever, Individualist):
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Achiever-Teams verfolgen klare Ziele, sind zur Leistung motiviert und optimieren Prozesse. Teams unter Achiever-Führung sind produktiv, zielorientiert und liefern überdurchschnittliche Ergebnisse, solange die Aufgabenstruktur klar und die Ziele tatsächlich erreichbar sind. Bei hoher Komplexität oder Unsicherheit kann diese Zielorientierung jedoch zu Überforderung oder Burnout führen.
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Individualisten-Teams bringen neue Perspektiven ein, hinterfragen bestehende Strukturen und fördern Kreativität. Teams unter der Leitung von Indivualisten-Logik profitieren von Innovation und Flexibilität, können aber instabil werden, wenn zu viele Regeln infrage gestellt werden oder Orientierung seitens der Führung fehlt.
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Späte Stadien (Strategist, Alchemist):
Späte Stadien kommen nur äusserst selten in ganzen Teams vor. Selbst bei Führungskräften sind die reiferen Führungslogiken nicht oft vertreten. In den Forschungsergebnissen von Rooke und Torbert weisen lediglich 5% der Führungskräfte diese fortgeschrittene Führungsreife auf.
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Strategen und Alchemisten integrieren verschiedene Sichtweisen, fördern Sinngebung und schaffen psychologische Sicherheit. Teams unter dieser Führung sind lernfähig, resilient und können komplexe Veränderungen erfolgreich gestalten. Sie erzielen nachhaltige, innovative Ergebnisse und entwickeln eine starke, inklusive Teamkultur.
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Alchemisten inspirieren zu tiefgreifendem Wandel und verbinden individuelle Entwicklung mit gesellschaftlicher Verantwortung. Ihre Teams sind besonders anpassungsfähig und kreativ, was in dynamischen, unsicheren Umfeldern entscheidend ist.
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Abwägung und Dysfunktionalität
In stabilen, klar strukturierten Umgebungen können Achiever- und Experten-Logiken sehr effektiv sein. Die gängige Management-Lehre ist voll von Achiever-Logik. Sie wird als «transformational leadership» zur Überwindung der Experten-Logik mit ihrem Silo-Denken gepriesen, weil sie Teams und Organisationen zur effektiven Zusammenarbeit für ein gemeinsames Ziel transformiert. In komplexen, sich schnell verändernden Situationen sind Strategist- und Alchemist-Logiken jedoch überlegen, da sie Mehrdeutigkeit und Unsicherheit aushalten, Vielfalt integrieren sowie Transformation in der Organisation ermöglichen. Dysfunktionalität entsteht, wenn Führungslogik und Teamreife nicht zur Situation passen: Zu viel Kontrolle oder Harmonie verhindert Innovation oder notwendige Veränderung, zu viel Infragestellen ohne Richtung führt zu Instabilität.
Je weiter entwickelt die Führungslogik, desto besser kann ein Team mit Komplexität, Wandel und Diversität umgehen und nachhaltige Ergebnisse erzielen. Teams profitieren besonders dann, wenn Führungskräfte situativ angemessen zwischen den Logiken wechseln und gezielt Entwicklungsräume schaffen. Keine Entwicklungsstufe ist per se „schlecht“ – doch ihr situativer Fit entscheidet über Erfolg. Führungskräfte sollten Teams dabei unterstützen, flexibel zwischen Stufen zu wechseln: In stabilen Phasen Achiever-Logik, in Umbruchszeiten kreatives und strategisches Denken.
Die Autorin Esther-Mirjam de Boer wurde von David Rooke in der Anwendung dieses Führungsmodells für Leadership Entwicklung ausgebildet. David Rooke gründete und führte die Firma Harthill Consulting, um in grossen Organisationen weltweit die Führungsreife weiterzuentwickeln. Esther-Mirjam de Boer ist als Freelance Consultant für Harthill bei Bedarf global im Einsatz.