Esther-Mirjam de Boer auf einem Panel im Dialog über Sicherheitspolitik in der Schweiz.
Die alte sicherheitspolitische Architektur des Kalten Krieges ist baufällig geworden – sie ist teilweise bereits eingestürzt – und braucht eine Grundsanierung. Was heisst das für die Sicherheitspolitik der Schweiz? Wie sollen wir unser Land im globalen Kontext und in der Nachbarschaft mitten auf dem Europäischen Kontinent aufstellen und führen in diesen unruhigen Zeiten? Wie schnell sollte das gehen, was kostet das und wie sollen die Investitionen finanziert werden? Und was braucht die Zivilgesellschaft, um gleichzeitig gut informiert, entscheidungskompetent und trotz allem zuversichtlich und produktiv zu sein?
Ich habe mir (unvollständige) Gedanken gemacht, die ich öffentlich mache als Einladung zum Dialog und mit der Bitte, diese sachkompetent zu korrigieren, ergänzen und zu vertiefen. Wir brauchen nämlich für notwendige Handlungen und Entscheide ein belastbares, gemeinsames Verständnis, das die unproduktive links-rechts-Polarisierung überbrückt. Ein Verständnis, das Antworten findet, die werthaltig sind für unser Land, Wohlstand und Wirtschaft. Aus meiner Beobachtung gibt es dazu Ansätze in allen – ja allen – Parteien. Allerdings stehen auch in allen Parteien ideologische Scheuklappen im Weg, die eine gemeinsame Verständigung in der Sache behindern.
Eine Grundlage meiner Überlegungen bildet der Bericht der Studienkommission Sicherheitspolitik, der im August 2024 erschienen ist. Das VBS hat 2023 die Kommission gebildet und die Arbeit in Auftrag gegeben: Studienkommission Sicherheitspolitik: Auftrag und Zusammensetzung. Eine weitere wichtige Quelle ist der Lagebericht des Nachrichtendienstes des Bundes von 2024: NDB Lagebericht 2024.

1. Lasst die Fachleute ran.

Sicherheitspolitik umfasst mehr als das Militär. Gleichwohl ist es ein Fakt und Risiko: Die Schweizer Armee ist nicht verteidigungsfähig. Das sollten wir so schnell wie möglich in Ordnung bringen. Darob dürfen wir nicht die anderen Dimensionen der Sicherheitspolitik vernachlässigen, wie z.B. Polizeiarbeit, Cyber-Risiken, den Schutz kritischer Infrastrukturen, organisierte Desinformation und psychologische Kriegsführung, Terrorismus, organisiertes Verbrechen, Wirtschaftskriminalität, Spionage, Nachrichtendienst etc.
Ich schlage vor, dass eine Sonderkommission mit zivilen Fachleuten, qualifizierten Armeeangehörigen und Behörden-Mitgliedern zusammen mit Menschen aus der Zivilgesellschaft zügig einen gemeinsamen Masterplan verhandelt, wie die sicherheitspolitische Schutz- und Verteidigungsfähigkeit der Schweiz rasch und umfassend wiederhergestellt werden soll und was das in etwa kostet. Die politischen Parteien verpflichten sich, die technokratische Fachkompetenz dieser Sonderkommission zu respektieren und die Umsetzung zu unterstützen. Kein Kleinkrieg im Innern – kein Feilschen auf Nebenschauplätzen – keine Fundamentalopposition bei 0.5% Meinungsverschiedenheit. Weder ganz links noch ganz rechts. Wir müssen uns jetzt zusammenraufen.
Die Schweiz soll sich im gesetzlich möglichen Rahmen zusätzlich verschulden dürfen, um die physische und virtuelle Schutz- und Verteidigungsfähigkeit wiederherzustellen. Ja, das bedeutet, die Schuldenbremse zu lockern – dadurch können die erforderlichen Mittel für die Sicherheit des Landes ausserhalb der laufenden Budgets zum geeigneten Zeitpunkt eingesetzt werden. Der Plan wird konsequent ausgerichtet an der aktuellen Bedrohungslage, wie sie von Fachleuten einvernehmlich eingeschätzt wird – und nicht an militär-romantischen Vorstellungen aus alten Zeiten – und nicht an ideologischen Illusionen vom Frieden.
Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei u.a. insbesondere dem Cyberschutz von kritischen Infrastrukturen, dem Schutz des Luftraumes gegen Langstreckenwaffen und Drohnen sowie der Eindämmung der psychologischen Kriegsführung durch Desinformation und Manipulation im Innern wie auch von ausländischen Akteuren. Die Schweiz soll in Zukunft ihre Sicherheits-Aktivitäten eng mit den Nachbarländern koordinieren, damit die Zusammenarbeit im Ernstfall funktionieren kann. Technologien werden wo immer möglich mit den Nachbarländern standardisiert und harmonisiert. Der «Swiss Finish» ist möglichst zu vermeiden.

2. Föderalismus pragmatisch anpassen

Wenn es um Sicherheit geht, ist es meist besser, wenn im Ernstfall zentral gesteuert wird. Daher sollten – dort wo es Sinn macht – die sicherheitspolitischen Zuständigkeiten von den Kantonen zum Bund verlagert werden. Von 26 kantonalen Organisationen kann die sicherheitspolitische Kapazität auf Eine zusammengezogen und qualitativ verstärkt werden. Das erhöht die Qualität bei sinkenden Kosten. Die zuständigen Bundesämter (BABS, BACS, BWL, NDB etc. ) werden finanziell und personell so ausgestattet und geführt, dass sie möglichst rasch ihren Leistungsauftrag erfüllen können.
Eine Organisation, die in Krisen funktionieren muss, sollte vorher Gelegenheit haben, ihre Strukturen und Zusammenarbeit zu üben und optimieren. Deshalb rate ich dazu, den Zusammenzug jetzt in die Wege zu leiten.

3. Neutralität und das Kriegsmaterialgesetz

Die Schweiz löst sich konsequent aus sicherheitspolitisch existenzbedrohenden Abhängigkeiten (Waffensysteme, Technologien, DatenClouds, Lizenzen, Software) von den autoritären Grossmächten USA, Russland und China. Laufende Beschaffungen existenzieller Systeme werden überprüft, die Verträge angepasst oder allenfalls storniert und bei vertrauenswürdigeren Partnern im In- und Ausland neu platziert. Das Kriegsmaterial-Ausfuhrgesetz wird auf dem schnellsten Weg dahingehend angepasst, dass die Schweizer Rüstungsindustrie Kriegsmaterial an liberale Demokratien ausliefern darf, die dieses wiederum ihren liberalen, demokratischen Verbündeten auch im Ernstfall zur Verfügung stellen dürfen. Der (sinnvoll regulierte) Handel mit Rüstungsgütern ist entscheidend für die Wiederherstellung und die Aufrechterhaltung der Schweizer Verteidigungsfähigkeit.

Die Schweiz bleibt liberal-demokratisch politisch neutral und autonom. Sie wird gleichzeitig zum seriösen, sicherheitspolitischen Partner auf dem Europäischen Kontinent. Dies ist zu ihrem eigenen Schutz. Die Schweiz ist dem Völkerrecht und den Menschenrechten verpflichtet. Länder, die dieses brechen, haben kein Recht und keinen Anspruch auf die Schweizer Neutralität.

Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit sollen nach Möglichkeit innerhalb der Schweiz in Auftrag gegeben werden, in zweiter Priorität auf dem Europäischen Kontinent. So entfalten die Staatsschulden ihre anregende Wirkung auf die Schweizer und Europäische Wirtschaft, die mit Gewinnsteuern und Gegengeschäften hilft, die Schulden wieder abzubauen. Doch später mehr zur Finanzierung.

4. Einbezug der Bevölkerung

Im VBS werden 5-8 Schlüsselkompetenzen für Ernstfälle definiert. Alle Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz mit Niederlassungsbewilligung erhalten die Möglichkeit, kostenlos an freiwilligen Trainings teilzunehmen, um eine oder mehrere dieser Schlüsselkompetenzen zu trainieren. Das können z.B. sein: Schiesstraining an der Waffe, Fahrtraining für Lastwagen, 1.-Hilfe Training für die Erstversorgung und Triage, Drohnen-Pilotieren, Training für die Einrichtung und den Betrieb von Schutzräumen, Funk-Kurse, Anbau von Grundnahrungsmitteln etc. Alle Menschen, Frauen, Männer and everybody beyond werden dabei gleichberechtigt behandelt und berücksichtigt. Selbst Kinder und Jugendliche sollen wo möglich und sinnvoll spielerisch mit einbezogen werden.
Es werden schweizweit 1-2 Trainings-Samstage oder Aktionstage pro Jahr durchgeführt, an denen jeweils ein Szenario für einen Ernstfall durchgespielt wird: Zusammenbruch der Stromversorgung, Luftalarm, Zusammenbruch des Internets, Zusammenbruch der Öl/Gas/Benzinversorgung etc. Allen Einwohnerinnen und Einwohnern der Schweiz soll klar sein, was sie in welcher Situation tun und lassen sollen. Jeder kennt seinen Schutzraum und ist ausreichend individuell ausgerüstet.
Das Schweizer Fernsehen hat 2017 mit «Blackout» eine sehr gute Vorlage geliefert, wie so etwas aussehen könnte: Der Film zum Thementag – «Blackout» – Sechs Tage ohne Strom – Wissen – SRF

Die Finanzierung

5. Schuldenabbau durch Erhöhung der Unternehmensgewinnsteuer

(Vorschlag NR Simon Michel, FDP Solothurn)
Um die Bundesfinanzen aufgrund der ausserordentlichen Investitionen in die Schutz- und Verteidigungsfähigkeit wieder zurück ins Lot zu bringen und die Schulden geregelt abzubauen, wird die Unternehmensgewinnsteuer auf Bundesebene moderat erhöht (oder Abgaben der Kantone aus Unternehmensgewinnsteuern eingefordert). Damit werden also nur Unternehmen belastet, die tatsächlich Gewinne ausweisen. Somit leisten jene Firmen, die von der aktuellen Lage überproportional profitieren auch einen überproportional hohen Beitrag zu deren Amortisation. Firmen, die keine Gewinne machen, tragen in diesem Modell auch keine höheren Steuern.

6. Den demografischen Wandel finanzieren mit Erbschaftssteuern für alle

(Gegenvorschlag zur JUSO-Initiative)
Die soziale Stabilität und Sicherheit sind aufgrund des demografischen Wandels unter Druck. Die Schweizer Bevölkerung wird immer älter. Immer weniger Erwerbstätige finanzieren einen Rentner oder eine Rentnerin. Das Gefüge der Sozialversicherungen gerät in den kommenden Jahren strukturell aus dem Gleichgewicht. Damit steigt die Gefahr der weiteren Polarisierung und interner Spannungen, die die Handlungsfähigkeit der Schweiz schwächen könnten. Um die Finanzierung der Renten sicherzustellen, wird auf Bundesebene eine moderate Erbschaftssteuer (mindestens 5-10%) auf alle Erbschaften gleich welcher Höhe eingeführt.
Die zusätzlichen Einnahmen werden dazu genutzt, die steigenden AHV-& IV-Renten zu finanzieren. Weitere Rentenerhöhungen dürfen in Zukunft nur noch beschlossen werden, wenn sie gegenfinanziert sind. Die Gegenfinanzierung ist zwingender Bestandteil einer allfälligen Abstimmungsvorlage.
Begründung: im Zuge der Abstimmung zur 13. AHV-Rente wurde festgestellt, dass rund 80% der Rentnerinnen und Rentner diese gar nicht benötigen. Ich habe mir überlegt, wie man diesen kostspieligen Systemfehler, der die Jüngere Generation belastet, korrigieren kann. Die Idee ist nun, das die Gesellschaft einen Teil des übrig gebliebenen Geldes nach dem Tod einer Person abschöpft und zur Finanzierung des Rentensystems nutzt.
Natürlich wird es zu Umgehungsaktivitäten einer Erbschaftssteuer kommen. Diese sind billigend in Kauf zu nehmen: Einerseits wird ein höherer Konsum die Wirtschaft beleben und anderseits werden Schenkungen an die nächste Generation die Vermögen an die jüngere Generation zu einem früheren Zeitpunkt im Leben umverteilen, die dadurch entweder einfacher Investitionen in Wohneigentum oder Konsum finanzieren können. Beides regt die Wirtschaft an. Die Umgehungen der Erbschaftssteuer müssen bezüglich Armutsrisiko und Anspruchsrecht auf Ergänzungsleistungen der älteren Generation sinnvoll reguliert werden. Es sind Ansätze zu überlegen wie z.B.: die jährlichen Schenkungen an Kinder dürfen höchstens 5% des Vermögens umfassen und sind ab einer Summe von XX’XXX.- Erbschaftssteuer-pflichtig. Erbvorbezüge, die darüber hinausgehen sind immer Erbschaftssteuer-pfichtig. Die geregelte Nachfolge in Unternehmen soll durch das neue Erbschaftssystem nicht über Gebühr belastet werden. Für die ungeregelte Nachfolge braucht es vermutlich Härtefallregelungen.

7. Investitionen in zukünftige Erträge

Die Schweiz anerkennt, dass eine wichtige natürliche Ressource im Land gut ausgebildete Menschen sind. Sie bilden das Fundament für den Wohlstand. Die ganze Schweizer Politik richtet sich daran aus, dass erwerbsfähige und erwerbswillige Menschen ihrem Potenzial entsprechend gebildet und ihrer Qualifikation entsprechend erwerbstätig sein können und sollen. Das betrifft insbesondere auch Elternteile, Flüchtlinge und pensionierte Menschen.
Die Schweizer Politik schafft geeignete Rahmenbedingungen und Anreizsysteme für eine gute Bildung und eine hohe Erwerbsbeteiligung aller, die dazu in der Lage sind. Insbesondere schafft sie Rahmenbedingungen für kleine Kinder, damit diese mit optimalen Bildungschancen aufwachsen.
Das Arbeitsverbot für Flüchtlinge ist aufzuheben und in eine Arbeitspflicht umzuwandeln, damit diese ihre Kosten im Gastland mitfinanzieren helfen. Zudem schafft die Schweiz geeignete Rahmenbedingungen, damit die Beschäftigung älterer Arbeitnehmenden sowie die Weiterarbeit über das ordentliche Pensionsalter hinaus für Arbeitswillige und deren Arbeitgeber attraktiv ist.

8. Sparsamkeit

Das restliche Bundesbudget muss aus den laufenden Erträgen finanziert werden. Dabei sollen alle Ausgaben auf ihre ökonomische, soziale und ökologische Werthaltigkeit überprüft werden. Alle Ausgaben, die mehr kosten als sie bringen, sollen wenn möglich gestrichen werden. Zum Beispiel die Landwirtschaftszahlungen wie Subventionen für den Tabakanbau bei gleichzeitiger Finanzierung von Werbung gegen Tabakkonsum werden dahingehend überprüft und angepasst – so auch z.B. bei Zucker. Direktzahlungen und Subventionen in der Landwirtschaft werden konsequent an der Versorgungssicherheit im Ernstfall ausgerichtet. Überproduktionen (zB Milch & Fleisch) und Exporte werden nicht weiter staatlich unterstützt, sondern sollen sich am freien Markt behaupten – ohne Subventionierung von Verkaufsförderung. Bei allen Ausgabepositionen soll der gesunde Menschenverstand mindestens ebensoviel Einfluss haben, wie die Bestandswahrung durch Interessenvertreter.
Parlamentarierinnen und Parlamentarier erhalten Steuerungsinstrumente, um die Arbeitslast der Behörden einzugrenzen, die aufgrund der Parlamente entsteht. Sie tragen damit dazu bei, dass die Behörden sich auf ihren Leistungsauftrag konzentrieren können und eher schlanker werden statt weiter wachsen.

Zugabe: Informationssicherheit

Die Schweiz schafft geeignete Sanktionsmöglichkeiten gegen reichweitenstarke Personen und Organisationen, die absichtlich und wiederholt Falsch-Behauptungen verbreiten. Dies gilt insbesondere für Lügen über dokumentierte Vorgänge und nachgewiesene Gefährdung durch oder (Nicht-)Wirksamkeit von Substanzen auf die Gesundheit. Alle Medien der Schweiz werden dazu verpflichtet, bei ihrer Berichterstattung den dokumentierten Fakten, breiten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Mehrheitsmeinungen von ausgewiesenen Expertinnen und Experten den überwiegenden Anteil der Aufmerksamkeit zu schenken und der Desinformation möglichst wenig Raum in der Berichterstattung zu geben. Es soll allen Medien verboten werden, Desinformation alleinstehend, ohne angemessene Einordnung zu verbreiten. Subventionierte Medien des Service Public werden dazu verpflichtet, zu kursierenden Desinformationen Faktenchecks zu veröffentlichen und nachzuführen.

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Autorin: Esther-Mirjam de Boer, CEO Brainboards AG

Esther-Mirjam de Boer ist eine versierte Unternehmerin und Strategin mit über 20 Jahren Erfahrung in den Bereichen Strategie, Führung und Kooperation. Als geschäftsführende Teilhaberin der BRAINBOARDS AG unterstützt sie Firmeninhaber, Verwaltungsräte und CEOs bei der Optimierung ihrer Führungsstrukturen und -kulturen. Sie zeichnet sich durch ihre analytische Schärfe, ihren unternehmerischen Geist und ihre Fähigkeit aus, auch in komplexen Situationen klare Strategien zu entwickeln und handlungsfähig zu bleiben. Ihr Engagement für Vielfalt und ihre Erfahrung in der Überwindung von Krisen machen sie zu einer wertvollen Bereicherung für Verwaltungsräte, die zukunftsorientiert und resilient agieren wollen.
250225 CV Esther Mirjam de Boer
Esther-Mirjam de Boer auf einer Bühne im Dialog über Sicherheitspolitik in der Schweiz. Im Hintergrund steht Switzerland Innovation.

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