Spiegel

“Ihnen ist klar, dass Sie die Quotenfrau sind?” So stand es gedruckt in einem In­terview. Da steht sie, schwarz auf weiss, die Respektlosigkeit. Es ist eine häufig zu beobachtende Manipulationstechnik in den Medien und in der Führung: Mit einer giftigen Unterstellung wird die Minderwertigkeit des Gegen­übers etabliert und die Gesprächspartne­rin auf einem Nebenschauplatz in Be­drängnis gebracht. Mit einem Satz wird das ganze Wissen, die ganze Erfahrung, alle Leistungen und das ganze Können einer führenden Expertin mit dem Wort «Quotenfrau» abgewertet. BÄMM! Sie ist für die Vielfalt da – also hübsch zur Dekoration – er macht den Inhalt.

Weiter geht es mit einem schlüpfrigen «Sie sind die Neue an seiner Seite». Nein, sie hat sich nicht hochgeschlafen. Sie machen abwechselnd einen Podcast im Norddeut­schen Rundfunk. Halbe-halbe. Beide sind Professorinnen an zwei angesehenen Uni­versitäten – ich erlaube mir aus aktuellem Anlass, das generische Femininum zu ver­wenden –, Institutsleiterinnen mit Festanstellung und führende, angewandte Forscherinnen der Virologie. Beide haben immens wichtige Beiträge und Erkennt­nisse zur Pandemiebewältigung geleistet. Beide respektieren sich gegenseitig. Beide erklären die Zusammenhänge im Podcast gleichwertig verständlich.

Aber der eine ist ein Mann und war zuerst da. Er ist der Star-Virologe. Sie ist nur da­zugekommen, weil sie eine Frau ist. Nicht, weil sie was kann. Das steht fett gedruckt zwischen den Zeilen.

«Ihre ersten Folgen klangen ein wenig nach Volkshochschule. Wollen Sie es in Zukunft spannender machen?» Sie hat keine Chance, das Urteil ist längst gefällt – Note: ungenügend. Klar. Eine Frau, die Wissen vermittelt, klingt wie eine Ober­lehrerin. Nur der Mann kann ein interes­santer Experte sein. Auch das ist toxische Gesprächsmanipulation.

Die Journalisten, die das Interview im deutschen Magazin «Der Spiegel» geführt haben, sind übrigens Frauen. Feindselig­keit gegenüber Frauen hat kein Ge­schlecht. Auch Frauen setzen Frauen herab. Doch wieder einmal empören sich vor allem die Frauen darüber. Ich warte auf den Tag, an dem Männer gleichermas­sen mit einstimmen. Denn auch die Empörung über die Feindseligkeit gegenüber Frauen sollte kein Geschlecht haben.

Dieser Kommentar erschien als Kolumne von Esther-Mirjam de Boer in der Handelszeitung vom 22. Oktober 2020.