Es ist verrückt: Bestens ausge­bildete Frauen bleiben zu Hause, um Mittags für die Kinder zu kochen, Hausaufgabenhilfe zu spielen, Wäsche zu waschen und die Wohnung zu putzen. Denn die Kinder sollen optimale Voraussetzungen für gute Bildung und Berufserfolg erhalten – das ist in der Schweiz die Kernkompetenz von Mamis. Der Aufwand wird geleistet, damit die Hälfte dieser Kinder später wieder bes­tens ausgebildet Hausarbeiten verrichtet.

Derweil stimmen wir über eine Begren­zungsinitiative ab, die die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte einschränken soll, während wir die Ansiedelung aus­ländischer Firmen auf Schweizer Boden fördern, damit unsere Wirtschaft weiter­wächst. Manchmal frage ich mich, ob jemand den Irrsinn in den Zusammen­hängen erkennt. Wir fördern eine stu­pende Ineffizienz beim Wirkungsgrad der Bildung unserer Bevölkerung (Stichwort Putzfrau mit Doktortitel) – und gleichzeitig steuern wir auf einen austrocknen­den Fachkräftemarkt zu und hungern damit unser Wirtschaftswachstum aus. Das Treten an Ort mit hohem Kraftaufwand wird das Ergebnis sein. Oder schlimmer: Eine strauchelnde Volkswirt­schaft. Das können wir uns im Kontext von Corona, Überalterung und Rechts­unsicherheit nicht mehr leisten.

Der «Schilling Report» weist 10 Prozent Frauen in Geschäftsleitungen und deren 23 Prozent in Verwaltungsräten der hun­dert grössten Schweizer Unternehmen aus. Wobei immer noch fast die Hälfte der Firmen keine einzige Frau in der Geschäftsleitung hat. Doch das ist nur die Rahmschicht. GetDiversity hat nun erstmals die Handelsregister-Daten von 7605 Schweizer Aktiengesellschaften mit mehr als fünfzig Mitarbeitenden unter­sucht. Der «Diversity Report Schweiz 2020» zeigt ein etwas nüchterneres Bild: Immerhin 19 Prozent der Firmen verfügen bereits über eine Geschlechtervertretung im Verwaltungsrat, die den Richtwerten im neuen Aktienrecht ent­spricht. Mit durchschnittlich 14 Prozent VR-Frauen hinken die mittleren und grossen Unternehmen den allergrössten jedoch deutlich hinterher. Zwei Drittel der Firmen arbeiten ausschliesslich mit Männern im Verwaltungsrat. Es ist mir klar, dass sich Akademikerinnen und Fachfrauen beim Putzen zu Hause nicht für Geschäftsleitungen und Verwal­tungsratsarbeit qualifizieren. Wir brau­chen dringend einen Strukturwandel.

Kolumne von Esther-Mirjam de Boer, erschienen in der Handelszeitung vom 4. September 2020