Der erste Eindruck trügt: wenn gutes Auftreten mit Führungskompetenz verwechselt wird. Wie wir systematisch die Falschen anstellen und befördern und den Unternehmen damit Schaden zufügen: Flurschaden in der Kultur. Eine Buchempfehlung für die Sommerferien: «why do so many incompetent men become leaders».
«Why do so many incompetent men become leaders? (And how to fix it)» mit diesem Buchtitel provoziert der Autor Tomas Chamorro-Premuzic, der Wissenschaftler und Topmanager zugleich ist. Bevor wir mit MACH1 in der Geschlechterdebatte landen, wenden wir uns den Fakten zu: Pointiert wie fundiert zeigt Chamorro-Premuzic in seinem Buch auf, wie wir systematisch schlechte Personalentscheide fällen. Wir irren oft, obschon wir meinen, dass wir durch unsere HR-Prozesse nur die Besten und Qualifiziertesten befördern. Er leitet her, wie wir Selbstdarstellern, Blendern, Narzissten, Psycho- und Soziopathen den Vorzug geben gegenüber bescheidenen, sozialkompetenten, führungswirksamen Menschen. Wir alle. Männlein wie Weiblein auf beiden Seiten. Ein Schlüsselwort ist «Charisma».
Ein allzu selbstsicherer, beeindruckender Auftritt in Unterlagen, Interviews und Assessments wird mit Führungskompetenz gleichgesetzt. Und dann haben wir den Salat: ein toxischer Mensch vergiftet das Klima. 4 bis 20% der obersten Führungskräfte gelten als schädlich, gegen die Hälfte stiftet kaum Mehrwert, sie pflegen Egozentrik hinter hochglanzpolierter Maske. Es ist ein weltweites Phänomen. Dabei wäre nur 1% der Gesamtbevölkerung sozial unverträglich.
Was ist zu tun? Es gilt die Faustregel: Kündigung auch ohne Plan B, denn sozial-toxische Menschen gelten als schwer therapierbar. Einen Zerstörer aus einem Führungsteam zu entfernen, ist eine viermal wirksamere Massnahme für den Unternehmenserfolg, als einen guten Topmanager einzustellen, erläutert der Autor.
Doch woran erkennen wir, welcher Strahlemann aus der Chefetage gefährliche Schattenseiten hat? Nukleus dieser Fehlentscheidungen sind die heutigen Rekrutierungs-, Vergütungs- und Beförderungssysteme, die der sozialen Integrität bei Beurteilungen weniger Gewicht geben, als potenziell schädlichen Verhaltensweisen. Der Zürcher Experte für Verhaltensökonomie Gerhard Fehr von FehrAdvice gibt einen Hinweis:
«Wenn die Fluktuationsrate von Frauen in Führungspositionen wesentlich höher ist als jene der Männer und ihr Anteil gering, dann hat das Unternehmen ein Problem mit der Firmenkultur. Es ist ein Frühindikator, dass Innovation und Erfolg in Gefahr sind.»
Wen wundert’s? Führungsfrauen sind nämlich gemäss Chamorro dreimal weniger vom Zerstörer-Syndrom betroffen und ihre gute Einbindung ist ein Indikator für eine gesunde Kultur. Und davon profitieren auch die sozialverträglichen männlichen Kollegen – also die Mehrheit der Männer. Merke: Das hier ist keine Geschlechterfrage, sondern eine Frage der sozialen Integrität von Menschenund wie wir dieser mehr Gewicht verleihen.
Verfasst von Esther-Mirjam De Boer