Es stehen 350 Millionen auf dem Spiel. Das klingt nach viel Geld. Die CVP will mit einem höheren Steuerabzug bei der Bundessteuer Familien mit Kindern entlasten. Damit bleiben einem vierköpfigen Haushalt maximal 910 Franken pro Jahr mehr – ab 200 000 Jahreslohn eines Alleinernährers und ab 300 000 Bruttoeinkommen, wenn beide Eltern erwerbstätig sind.

Das sei keine Familienvorlage, sagt Bundesrat Ueli Maurer zu Recht; es ist eine Steuererleichterung für die obersten 15 Prozent, die unter dem Deckmäntelchen der Familienpolitik unters Volk gebracht wird. Mit solchen Süssigkeiten lässt sich trefflich Wahlkampf machen – die FDP hat vom geschlossenen Nein zum grossmehrheitlichen Ja gewechselt. Dabei hatte alles recht gut angefangen. Es ging darum, für gut qualifizierte Frauen Erwerbsanreize zu erhöhen und realistische Kosten für die externe Kinderbetreuung abzugsfähig zu machen. Das ist volkswirtschaftlich und langfristig sinnvoll. Wenn man es denn auch kantonal und auf Gemeindeebene umsetzt. Die CVP hat daraus aber – schwupps – ein staatliches Familienentlastungsprogramm gemacht, das keinerlei Wirkung auf die Erwerbstätigkeit hat, sondern nur noch ein klitzekleines Steuergeschenk für Grossverdiener mit Kindern ist. Seien wir ehrlich: Die ganze Idee war auf Sand gebaut. Wenn der Grenzwert für den Steuerabzug bei Doppelverdienern höher ist als bei Einzelverdienern, sind die Erwerbsanreize für das zweite Einkommen negativ. Der Schuss geht also sowieso nach hinten los.

Es gibt ein Steuersystem, das sowohl die Erwerbsanreize für alle arbeitsfähigen Menschen gerechter verteilt, als auch die komische Heiratsstrafe löst: die progressive Individualbesteuerung unabhängig vom Zivilstand. Dieses wesentlich einfachere und fairere Steuersystem führt nachweislich zu einer Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen, weil sich ein zweites Haushaltseinkommen auch finanziell wieder lohnt. Denn Bedarf besteht ja auf dem Arbeitsmarkt mit dem steigenden Fachkräftemangel. Doch die CVP wehrt sich vehement dagegen. Ich habe keine Ahnung, was daran christlich sein soll. Vor Gott sind doch alle Menschen gleich? Moderne Familienpolitik sollte die Chancengleichheit fördern. Bald ist Wahltag. Geht hin und wählt selbst.

Kolumne von Esther-Mirjam de Boer, CEO von GetDiversity in der Handelszeitung vom 17. Oktober 2019.

Quelle zur Wirkung einer progressiven Individualbesteuerung: https://www.mm-foundation.org/de/content/ecoplan-studie-auswirkungen-einer-individualbesteuerung